Die wichtigsten Punkte
- Die Arbeitskräftenachfrage wächst weiter: Stellenanzeigen auf Indeed erreichen ein neues Rekordniveau mit +61,4 % im Vergleich zur Zeit vor der Pandemie.
- Seit Beginn der russischen Invasion sind dennoch starke Wachstumseinbußen am deutschen Jobmarkt zu verzeichnen.
- Die Arbeitslosenquote liegt mit 3,9 % auf einem Rekordtief für deutsche Staatsangehörige – die Arbeitslosenquote bei Ausländer:innen im letzten Halbjahr ist erhöht aufgrund ukrainischer Geflüchteter.
- Die Kurzarbeit steigt langsam wieder an. Personenanzeigen für konjunkturelle Kurzarbeit liegen noch unterhalb des Vorjahresniveaus. Das verarbeitende Gewerbe ist weniger betroffen als im Vorjahresmonat.
Energiekrise, hohe Inflation, drohende Rezession: Welche Auswirkungen hat die aktuelle wirtschaftliche Entwicklung auf den Arbeitsmarkt? Dieser zentralen Frage gehe ich in der Arbeitsmarktanalyse vom Dezember 2022 nach, die ab sofort quartalsweise erscheinen wird.
Entwicklung der Arbeitskräftenachfrage in Deutschland
Um die Entwicklung der Arbeitskräftenachfrage in Deutschland zu bewerten, betrachte ich drei Indikatoren:
- die bei der Bundesagentur für Arbeit (BA) gemeldeten offenen Stellen,
- die vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) geschätzte Zahl offener Stellen anhand ihrer quartalsweisen Befragung von Betrieben und
- den Indeed-Job-Index, der die Entwicklung bezahlter und unbezahlter Online-Stellenanzeigen auf Indeed zeigt.
Die gute Nachricht vorweg: Alle drei Indikatoren zur Arbeitskräftenachfrage konnten im Jahr 2022 Rekordwerte verzeichnen. Die saisonbereinigten gemeldeten Stellen bei der Bundesagentur für Arbeit hatten im Mai 2022 ihr Allzeithoch mit 871.000 gemeldeten Stellen. Die IAB-Stellenerhebung erreichte zu einem vergleichbaren Zeitpunkt ihren Rekordwert, nämlich im zweiten Quartal 2022 mit 1,929 Millionen offenen Stellen. Der Rekordwert des Indeed-Job-Index wurde nach einem schwachen zweiten und dritten Quartal 2022 zum 06. Dezember 2022 mit einem Index von 161,8 erreicht. Das entspricht 61,8 % mehr Stellenanzeigen auf Indeed als vor der Pandemie.
Die Rekordwerte bei der Arbeitskräftenachfrage sind angesichts der aktuellen wirtschaftlichen Unsicherheiten überraschend. Bleibt der Jobmarkt völlig unberührt von der drohenden Rezession, der Energiekrise, der hohen Inflation und weiterhin bestehenden Material- und Lieferengpässen? Die Antwort ist ein klares Nein. Zwar zeugen alle drei Indikatoren von einer hohen Arbeitskräftenachfrage, aber es zeigt sich dennoch ein deutlicher Dämpfer.
Dieser Dämpfer äußert sich bei den Quartalszahlen der IAB-Stellenerhebung im dritten Quartal 2022 mit 1,823 Millionen offenen Stellen im Vergleich zum zweiten Quartal 2022 mit 1,929 Millionen offenen Stellen. Die gemeldeten Stellen bei der Bundesagentur für Arbeit gehen ab Mai 2022 (saisonal bereinigt) zurück. Beim Indeed-Job-Index ist es ebenfalls der Mai 2022, der den starken Wachstumstrend der Stellenanzeigen auf Indeed abbremst und dann eine plötzliche konstante Entwicklung zeigt. Die wöchentliche Aktualisierung des Indeed-Job-Index bietet nahezu Echtzeitdaten zur Arbeitskräftenachfrage. Diese Entwicklung wollen wir uns nun etwas näher anschauen.
Denn mit Beginn der russischen Invasion wurde die Wachstumsrate von Stellenanzeigen auf Indeed stark gebremst. Vom 24. Februar 2022 bis zum 09. Dezember 2022 haben Stellenanzeigen auf Indeed nur noch um schwache 6,9 % zugenommen. Wie hätte sich der Wachstumstrend womöglich ohne die russische Invasion fortgesetzt? Wir haben die lineare Wachstumsrate der 365 Tage vor Beginn der Invasion genommen und ab dem Tag der Invasion am 24. Februar 2022 fortgeführt. Die Entwicklung der Stellenanzeigen auf Indeed liegt derzeit 42 %-Punkte unterhalb des Wachstumstrends vor Beginn der Invasion.
Ob Stellenanzeigen in Deutschland ohne die Invasion tatsächlich in gleichem Maße weiter gewachsen wären und anstelle von heute +61,4 % im Vergleich zu vor der Pandemie sich dann mehr als verdoppelt hätten (+103 %), lässt sich natürlich nicht abschließend sagen. Möglicherweise wäre auch so im Laufe des Jahres das Wachstumsmaximum erreicht gewesen. Was uns diese Berechnungen allerdings ganz deutlich machen, ist, dass die wirtschaftlich turbulenten Zeiten nicht spurlos am deutschen Arbeitsmarkt vorübergehen.
Indeed-Job-Index für ausgewählte Berufsgruppen
Wie sieht die aktuelle Arbeitskräftenachfrage in verschiedenen Berufsgruppen aus? Wir konzentrieren uns hier auf die 10 Indeed-Berufsgruppen, die den größten Anteil an allen Stellenanzeigen ausmachen und damit auch den größten Einfluss auf den Gesamtarbeitsmarkt haben. Diese 10 größten Indeed-Berufsgruppen summieren sich auf 56,9 % (09. Dezember 2022) aller Stellenanzeigen auf Indeed.
Stellenanzeigen in 5 der 10 Berufsgruppen sind seit Beginn der russischen Invasion stärker gewachsen als der Durchschnitt (+6,9 %). Negativ fallen die Berufsgruppen Vertrieb (-9,2 %) und die IT im Bereich Softwareentwicklung (-13,6 %) sowie IT-Support und IT-Infrastruktur (+/-0%) auf. Im Vergleich zum Vorjahr (09.12.2021) fällt die annähernde Stagnation im Einzelhandel (0,5%) und in der Gesundheits-, Kranken- und Altenpflege (-0,1 %) auf. Im Einzelhandel scheint im Vergleich zu Anfang November 2022 die Arbeitskräftenachfrage aber wieder etwas anzuziehen (+14,2 %).
Ein besonders starker Anstieg der Stellenanzeigen seit Beginn der russischen Invasion zeichnet die Lagerhaltung (+20,9 %) aus. Im Vergleich zum Vorjahr liegt das Plus für die Lagerhaltung sogar bei 25,7 %. Überraschend positiv ist die Arbeitskräftenachfrage weiterhin in der energieintensiven Produktion & Fertigung: Seit Beginn der russischen Invasion sind Stellenanzeigen in dieser Berufsgruppe um 16,8 % angestiegen und verzeichnen auch ein Plus von 21,6 % im Vergleich zum Vorjahr.
Trotz des rückläufigen oder schwachen Wachstums der Arbeitskräftenachfrage in einigen Berufsgruppen darf man nicht vergessen, dass in allen 10 Berufsgruppen die Nachfrage das Niveau der Vor-Corona-Zeit bei Weitem übersteigt. Von einem besorgniserregenden Rückgang der Arbeitskräftenachfrage sind wir zum jetzigen Zeitpunkt weit entfernt.
Arbeitslosenquote für deutsche Staatsbürger:innen auf Rekordtief
Die aktuellen Zahlen der Bundesagentur für Arbeit (BA) zur Arbeitslosenquote in Deutschland unterstützen das Bild eines weiterhin sehr stabilen Arbeitsmarktes. Im November 2022 lag die Arbeitslosenquote in Deutschland bei 5,3 %, in Westdeutschland bei 5,0 % und in Ostdeutschland bei 6,7 %.
Der leichte Anstieg der Arbeitslosenquote seit der zweiten Jahreshälfte ist vor allem auf eine Zunahme der Arbeitslosenquote von Ausländer:innen zurück zu führen. Deutsche Staatsbürger:innen haben im November 2022 ein Rekordtief von nur noch 3,9 % Arbeitslosenquote aufgewiesen. Bei Ausländer:innen ist die Arbeitslosenquote von 11,5 % im Mai 2022 auf 15,2 % im August 2022 angestiegen. Zum November 2022 hin ist die Arbeitslosenquote von Ausländer:innen zwar wieder leicht gesunken, belief sich aber immer noch auf 14,7 %. Dieser Anstieg der ausländischen Arbeitslosenquote ist vor allem auf Ukrainer:innen zurückzuführen, die vor dem russischen Angriffskrieg in ihrer Heimat geflüchtet sind.
Im Januar 2022, das bedeutet vor der russischen Invasion, lag der Anteil arbeitsloser Ukrainer:innen an allen arbeitslosen Ausländer:innen bei 1,1 % und betraf 8.290 Personen. Im Mai 2022 war der Anteil auf 2,1 % angestiegen, im Juni 2022 waren es 15,5 %. Der bisherige Spitzenwert wurde im September 2022 erreicht mit 204.782 arbeitslosen Ukrainer:innen, was 22,4 % aller arbeitslosen Ausländer:innen entsprach. Im Oktober 2022 sank der Wert auf 21,9 % und 196.772 Ukrainer:innen. Im November 2022 hat sich der Rückgang der Arbeitslosigkeit von Ukrainer:innen fortgesetzt mit einem Anteil von 21,3 % an allen arbeitslosen Ausländer:innen und 189.438 Personen. Arbeitslose Ukrainer:innen stellen die größte Gruppe von arbeitslosen Ausländer:innen, gefolgt von arbeitslosen Ausländer:innen aus Syrien 14,3 %, der Türkei (12,1 %) und Afghanistan (4,7 %).
Bei den Arbeitslosen aus der Ukraine sind es mit 70,7 % überdurchschnittlich viele Frauen, die arbeitslos gemeldet sind. Bei ausländischen Arbeitslosen sind durchschnittlich 56,5 % weiblich. Bei deutschen Arbeitslosen sind übrigens nur 43,5 % Frauen. Der hohe Frauenanteil bei den ukrainischen Arbeitslosen entspricht der soziodemografischen Zusammensetzung der Geflüchteten aus der Ukraine, die vor allem aus Frauen und Kindern besteht. Die Erwerbstätigkeit von ukrainischen Müttern stellt somit eine ganz besondere Herausforderung dar, da schon zuvor nicht genügend Kinderbetreuungsplätze zur Verfügung standen, um Eltern die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu ermöglichen.
Zahl der Erwerbstätigen auf Rekordniveau
Die Zahl der Erwerbstätigen hat zunächst im September 2022 und jetzt auch im Oktober 2022 einen neuen historischen Höchststand erreicht. Im Oktober 2022 waren rund 45,7 Millionen Personen mit Wohnort in Deutschland erwerbstätig.
Kurzarbeit
Vor Beginn der Kurzarbeit müssen Betriebe ihren voraussichtlichen Arbeitsausfall anzeigen. Daten zur angezeigten Kurzarbeit liegen monatlich vor und können als Frühindikator für die Entwicklung der konjunkturell bedingten Kurzarbeit genutzt werden.
Seit dem Sommer steigen die Anzeigen für Kurzarbeit wieder an. Im Oktober 2022 wurde für 97.681 Personen Kurzarbeit angezeigt. Im Vergleich zum September 2022 sind die Anzeigen für Kurzarbeit zwar um 70,3 % angestiegen, allerdings liegen sie im Vergleich zum Oktober 2021 immer noch 22 % niedriger. Die meisten Anzeigen für Personen in konjunkturell bedingter Kurzarbeit kamen im Oktober 2022 aus dem verarbeitenden Gewerbe (61,2 %). Vor einem Jahr im Oktober 2021 wurden auch für Personen im verarbeitenden Gewerbe die meisten Anzeigen für konjunkturelle Kurzarbeit getätigt. Allerdings lag ihr Anteil noch bei 72,2 %. Das bedeutet, im Vergleich zum Vorjahresmonat verteilt sich die angezeigte Kurzarbeit im Oktober 2022 über eine breitere Anzahl an Wirtschaftszweigen und konzentriert sich weniger auf bestimmte Branchen. Ein besonderes Augenmerk sollte man auf die beiden Wirtschaftszweige legen, die von September 2022 zu Oktober 2022 den höchsten Anstieg der angezeigten Kurzarbeit von Personen verzeichnet haben: Sonstige wirtschaftliche Dienstleistungen (+394 %) sowie das Gastgewerbe (+371 %). Hier könnten einerseits zurückhaltende Konsumausgaben aufgrund der hohen Inflation durchschlagen, andererseits aber auch ein Rückgang der Arbeitskräfteüberlassung, die dem Bereich der sonstigen wirtschaftlichen Dienstleistungen zuzurechnen ist.
Anzeigen zur Kurzarbeit sind für den November 2022 noch nicht ganz vollständig, deuten mit angezeigter Kurzarbeit für 81.565 Personen aber bereits eine tendenziell steigende Nutzung von Kurzarbeit an.
Gesamteinschätzung
Der deutsche Arbeitsmarkt ist weiterhin durch eine sehr hohe Arbeitskräftenachfrage gekennzeichnet. Ohne die russische Invasion hätte die Nachfrage womöglich um mehr als zwei Drittel (67,8 %) höher liegen können (+61,4 % vs. +103 % im Vergleich zu vor Beginn der Pandemie). Genau sagen lässt sich das natürlich nicht, da die Wachstumsrate für Stellenanzeigen auf Indeed auch ohne wirtschaftliche Turbulenzen ihr Wachstumsmaximum hätte erreichen können. Was aber sicher ist: Die wirtschaftliche Entwicklung hinterlässt ihre Spuren auch auf dem Arbeitsmarkt. Die Arbeitskräftenachfrage liegt zwar um starke 61,4 % über dem Niveau der Vor-Corona-Zeit, ist aber seit Beginn der russischen Invasion nur noch um schwache 6,9 % angestiegen. Dabei muss ganz klar zwischen verschiedenen Berufsgruppen differenziert werden. Während Produktion & Fertigung ihre Arbeitskräftenachfrage trotz Energiekrise überdurchschnittlich steigern, ist in der IT ein starker Einbruch der Arbeitskräftenachfrage zu beobachten.
Die niedrige Arbeitslosenquote, die hohe Zahl der Erwerbstätigen, die nur leichte Erhöhung der Anzahl von Anzeigen zum Kurzarbeitergeld und die weiterhin hohe Arbeitskräftenachfrage beenden das Jahr 2022 mit einem starken Arbeitsmarkt. Das ist ein guter Ausgangspunkt für das neue Jahr und mögliche Turbulenzen, die auf uns zukommen könnten. Die Herausforderungen für das Jahr 2023 liegen in der Ungewissheit der weiteren wirtschaftlichen Entwicklung und der Frage, ob der Arbeitsmarkt der Energiekrise, der hohen Inflation und den Material- und Lieferengpässen weiterhin die Stirn bieten kann.
Methodik
Die den Indeed Daten zugrundeliegenden Zahlen können für wissenschaftliche Analysen aus unserem Indeed Hiring Lab Github Repository heruntergeladen werden.
Alle verwendeten Indeed Daten sind die prozentuale Veränderung der saisonbereinigten Stellenausschreibungen seit dem 01. Februar 2020 unter Verwendung eines gleitenden Durchschnitts über 7 Tage. Der 01. Februar 2020 stellt unseren Basiswert aus der Zeit vor der Pandemie dar. Wir bereinigen jede Zeitreihe saisonal, basierend auf historischen Mustern in den Jahren 2017, 2018 und 2019. Jede Zeitreihe, einschließlich des nationalen Trends, der Berufsgruppen und der subnationalen Geografien, wird separat saisonal bereinigt. Wir haben diese neue Methodik im Januar 2021 eingeführt. Die Daten für den 24. bis 30. Juni 2021, den 01. November 2021 und den 01. Januar 2022 fehlen und wurden interpoliert.
Die Analysen basieren auf öffentlich zugänglichen Daten der Indeed Deutschland Website (und ggf. anderer genannter Länder). Diese Informationen sind keine Vorhersage zukünftiger Ereignisse und umfassen sowohl bezahlte als auch unbezahlte Stellenausschreibungen.
Hier verwendete Daten der Statistik der Bundesagentur für Arbeit sowie des Statistischen Bundesamtes können über die jeweiligen Webseiten abgerufen werden.